MIT DER „SEEKUH“ IM EINSATZ

„Geisternetze“ sind die Todesfallen der Ostsee

„Geisternetze“ zersetzen sich langsam im Meer und gelangen als Mikroplastik nicht nur in den Umweltkreislauf, sondern auch in unseren Organismus. Umweltschützer*innen fahren mit dem Bergungsschiff „SeeKuh“ aufs offene Meer, um die Todesfallen für Meerestiere zu bergen.

Früh morgens beladen die Crew und Bergungstaucher*innen die „SeeKuh“ mit Sauerstoffflaschen, Proviant und Treibstoff im Hafen von Schilksee, tanken das Schiff noch einmal auf, bevor sie von Pier 16 in Richtung Ostsee ablegen. Acht Taucher*innen der Scientific Diving Association (SDA) , die sich mit Kameras, Treibgut-Netzen und Messern bewaffnet in die Tiefe begeben werden, um nach den Hinterlassenschaften alter Fischkutter zu suchen, sind an Bord. Als herrenlose Fischernetze liegen die „Geisternetze“ auf dem Grund der Meere und werden heute zur Todesfalle für Meeressäuger, Fische, Seevögel und Weichtiere.

Die Meere voll Müll

Geschätzte 10.000 Netze gehen jährlich in der Ostsee verloren. „Die Geisternetze bilden so rund zehn Prozent des weltweiten Mülls in den Meeren ab“, sagt Hubert Pinto De Kraus, Vorsitzender der SDA. Regelmäßig fahren er und seine Kolleg*innen mit der „SeeKuh“ bis in den Herbst hinein aufs Meer, um nach Netzen und dem Plastikmüll zu tauchen. Hilfreich beim Screening, also dem Aufspüren der Netze, ist ein von der SDA entwickeltes Meldeportal, über das Fischer*innen oder Wassersportler*innen Wrack- und Geisternetzpositionen melden können. Gerade an gesunkenen Schiffswracks und Unebenen in der Tiefe verfangen sich die Netze besonders gern und werden von den Fischer*innen vor Ort gelassen.

„Die Industriefischer kostet es viel Zeit und somit vor allem Geld, sich lange an einer Stelle aufzuhalten und das Netz umständlich von den Wracks zu entfernen“, sagt Pinto De Kraus. Aber auch Freizeitangler*innen wissen um die Positionen der Wracks, denn hier tummeln sich besonders gern Fische. Allerdings passiert es nicht selten, dass sich auch die Köder der Angler in den Netzen verhaken und als Plastik im Meer verrotten. Dann kommt die SeeKuh zum Einsatz. Seit 2015 nutzt der als gemeinnützig anerkannte Umweltverein One Earth – One Ocean (OEOO) das Müllsammelschiff, nicht nur um die gefährlichen Netze und Plastikmüll aus dem Meer zu fischen, sondern auch um in der Öffentlichkeit auf die Problematik aufmerksam zu machen.

„Der Meeresschutz und die Belastung der Umwelt zu Land und zu Wasser ist das aktuellste Thema der letzten Jahre“, sagt Dr. Rüdiger Stöhr von der OEOO. Der Dreck in den Meeren könne als besonders dramatisch angesehen werden, weil man ihn nicht sieht. Sichtbar zeigt sich die SeeKuh und der Verein deshalb zu Veranstaltungen, wie dem „Tag am Kai“ in Kiel-Holtenau, dem „Hafen Festival“ oder der Kieler Woche 2019, bei der das Team von OEOO an nur einem Tag fünf Kubikmeter Müll entlang der Kiellinie aus der Förde holte. Die Kieler Naturkosmetikfirma Oceanwell unterstützt dabei den Einsatz der SeeKuh auf der Ostsee. Sie steht für eine nachhaltige Nutzung der Ozeane. Mit ihrer Kampagne Protect the Ocean setzt sie sich aktiv für den Schutz der Meere und ihrer Fauna ein. Von jedem verkauften Oceanwell-Produkt fließen zehn Cent in geförderte Projekte. Dabei ist Oceanwell die einzige zertifizierte Naturkosmetik, die ausschließlich auf marinen Wirkstoffen basiert und nachhaltig kultivierte Bio-Algen verwendet. An der Sauberkeit der Ostsee und der Meere ist ihr daher besonders gelegen.

„Wir räumen den Dreck unserer Vorfahren weg“

Nach knapp einer Stunde Fahrt entlang der Küste sind wir an unserem Ziel angekommen. Das „Mittelgrundwrack“ in der Eckernförder Bucht ist ein Magnet für Fischernetze, Angler und ihre Köder. Es ist das Wrack eines am 24. Dezember 1914 in der Nähe der Untiefe „Mittelgrund“ gesunkenen Frachtenseglers. Kapitän Manfred Kähler lokalisiert die genaue Position des Wracks und gibt das Zeichen zum Abwerfen der Boje. Millimeterarbeit, die den möglichst genauen Standort des Wracks markiert und die Suche nach dem Müll erleichtern soll. In Dreier-Teams springen die Taucher*innen dann ins Wasser. Systematisch suchen sie das Wrack auf dem Grund der Ostsee nach Plastik, Netzen und Hinterlassenschaften anderer Fischer ab, die gefährlich für andere Meerestiere werden können. Nicht selten verenden Fische, Krebse und Weichtiere, die sich unfreiwillig in den Netzen und Haken verfangen.

Das gefährliche Gut: „Geisternetze“ lösen sich zu Mikroplastik auf und werden zur Todesfalle für Meerestiere

Gefährliches Gut aus der Tiefe

Etwa eine halbe Stunde dauert es, bis Lara mit einem Fetzen aus Schiffstau, Angelhaken und Plastikködern aus 16 Metern Tiefe auftaucht. Zufrieden legt sie ihre „Ausbeute“ in einen Sammeleimer, der am Ende des Tages rund fünf Kilo auf die Waage bringen sollte. Die Masterstudentin der Agrarwissenschaften verbindet ihr Hobby mit dem Nützlichen. Sie taucht seitdem sie ein kleines Mädchen ist. Durch Hubert, den Leiter des Tauchsportzentrums der CAU, ist Lara zur Scientific Diving Association gestoßen. „Meistens fühlt sich die Ausbeute wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein an, aber es ist ein Tropfen“, sagt Lara, die sich zufrieden für die SDA engagiert. Hier gebe es noch reichlich zu tun. Aus diesem Grund kommt die „SeeKuh 2“ demnächst zum Einsatz und wurde bereits zu Wasser gelassen. Auf dem neuen Müllsammler wird ein Förderband installiert, um Plastik und auf der Oberfläche schwimmenden Müll effizienter einzusammeln. Dies betrifft vor allem Regionen, in denen Flüsse, wie der Nil in Ägypten und der Jangtse in China stark verschmutzt sind. Der nächste Einsatz der SeeKuh findet allerdings in heimischen Gewässern statt: vom 23. Juli bis 6. August macht sie vor Fehmarn fest, um nach Geisternetzen und Plastikmüll zu suchen.

Nachwuchstaucherin Lara taucht hinab zum „Mittelgrundwrack“

Mehr zu dem Thema erfahrt ihr unter www.sda-kiel.info und oneearth-oneocean.com