Wer einmal Müll gesammelt hat, sieht ihn überall und kann gar nicht mehr damit aufhören. Diese Erfahrung haben auch Marina und Michael gemacht und einen Verein gegründet, der genau das unterstützt.
von Mirjam Stein
Mit einer Reise auf die Malediven fing alles an. Marina und Michael Schmidt verbrachten 2016 zehn Tage in der paradiesischen Insellandschaft, erreichten mit ihrem Katamaran Orte, an die Pauschaltourist:innen sonst nicht gelangen. Unberührte Sandstrände, klares Wasser, saubere Riffe, wie im Katalog eben – könnte man meinen. Dem war aber nicht so. „Wir haben teilweise auf unbewohnten Inseln, die auch nicht als Ausflugsziele dienten, viel Plastikmüll und sonstigen Unrat gefunden“, sagt Michael. Ein Großteil des Mülls wird von Hotels und den Tourist:innen verursacht, die zum einen von den Inseln gebraucht werden und zum anderen das Problem noch vergrößern, denn Hotels sind nicht verpflichtet, ihren Müll von einem ordentlichen Recyclingunternehmen abholen zu lassen. Stattdessen landet er aus Kostengründen meist auf der Müllinsel Thilafushi. Wie viele andere Menschen kannten Marina und Michael die gravierende Problematik bis dahin nur aus den Medien. Die erschreckend große Menge vor ihren eigenen Augen machte sie betroffen, sodass sie sich mit ihrer Rolle in diesem System auseinandersetzten. Kurzerhand beschlossen sie, selbst einen Beitrag zu leisten und die Plastikflut in die eigenen Hände zu nehmen. Und das taten sie wortwörtlich. Statt der geplanten Weltreise machten sie sich 2017 auf den Weg, um Müll zu sammeln: Acht Monate lang waren sie in Südafrika und Sansibar, wo sie auch ihren jetzigen Projektpartner kennenlernten, Thailand, Malaysia und noch mal auf den Malediven, veranstalteten an unterschiedlichsten Orten Clean-ups und bekamen ein detailliertes Bild vom Ausmaß der Plastikverschmutzung.
In dieser Zeit bauten sie in den Sozialen Netzwerken eine wachsende Community auf, die sich ebenfalls beteiligen wollte. „Wir wollten einen noch größeren Unterschied machen, einfach noch mehr Menschen involvieren. Und so haben wir 2018 den Verein Ozeankind gegründet“, erklärt Marina. Aus der Einstiegsdroge „Müllsammeln“ entstand eine Umweltorganisation, die national und international Umweltbildungs- und Recyclingprojekte für Kinder und Jugendliche schafft.
„Kinder sind sehr gut darin, ihre Eltern zu erziehen“
Die Jüngsten unserer Gesellschaft sind von dem Problem der Vermüllung ganz anders betroffen als Erwachsene. Sie erkennen mögliche Gefahren nicht und so passierte es auf Sansibar, dass ein Kind eine klare Flüssigkeit auf einer Müllkippe mit etwas zu Trinken verwechselte, wie Marina berichtet. Bei dem Drink handelte es sich jedoch um eine giftige Substanz, die dem Kind das Leben kostete. Außerdem hat die Thematik für Kinder und Jugendliche eine viel größere Relevanz, denn sie verbringen noch mehr Zeit auf diesem Planeten. Marina und Michael stellten fest, dass Kinder sehr gut darin seien, ihre Eltern bewusst oder unbewusst zu erziehen. Deshalb möchten sie bei ihnen ansetzen und riefen Projekte in Deutschland und auf Sansibar ins Leben. Auf ihrer Müllsammel- Reise lernten sie SwopShops (dt. Tauschläden) kennen und etablierten diese in Zusammenarbeit mit Zanrec, einem in Sansibar ansässigen Recyclingunternehmen, auch auf der Tansanischen Insel. Das Prinzip ist einfach: Die Kinder sammeln nach der Schule Plastik und liefern die Ausbeute bei den SwopShops ab. Die gesammelten Kilos können sie gegen Stifte, Schuhe oder ähnliche nützliche Alltagsgegenstände zum Spielen, für die Schule oder den Sport tauschen. Das Plastik landet so nicht in der Umwelt oder auf der Deponie und be- kommt einen Wert. Zanrec recycelt das an- fallende Plastik und leitet es in verschiedene Ströme weiter. Pro SwopShop sind zwischen 800 und 1.000 Kinder registriert, seit Februar 2020 hat Ozeankind vier dieser Tauschläden auf Sansibar errichtet – vollständig finanziert aus Vereinsspenden und -beiträgen. Frauen vor Ort betreiben die SwopShops, um auch ihre Position in der Gesellschaft zu stärken. Außerdem finden auf Sansibar Unterricht in Schulen, regelmäßige Clean-ups und Umweltbildungsprojekte statt, damit die Kids an Land und unter Wasser lernen, was es zu schützen gilt. „Viele können nicht schwimmen und haben noch nie gesehen, wie es unter Wasser aussieht“, erklärt Marina. Wichtig bei der Umsetzung ihrer Ideen in Sansibar ist dem Paar, Lösungen zu entwickeln, die vor Ort wirklich umsetzbar sind.
Plastikrebell:innen in Deutschland
Auch in Deutschland sind sie mit Bildungsprojekten zur Umwelt aktiv und haben zur Aufklärung sogar ein Kinderbuch geschrieben, das über die Schulbuch-Spende Kinder- und Jugendgruppen erreicht. „Entdecke den Plastikrebell® in Dir” ist ein interaktives Arbeitsheft für Kinder ab acht Jahren und eignet sich für Projekte zur Umweltbildung und Plastikvermeidung. Außerdem ist in Deutschland, genauer gesagt in Kiel, die Cleanup-Tonne entstanden. „Manchmal läuft man durch den Park oder am Strand entlang und möchte den Müll ungern aufsammeln, weil die entsprechende Ausrüstung fehlt“, erklärt Lennart Rölz, Leiter vom Kieler Ozean- kind- Stützpunkt, die Entstehung der blauen Clean-up-Station. Sie enthält Müllgreifer für Erwachsene, „Grillzangen“ für Kinder, Müllsäcke, Desinfektionsmittel, eine Anleitung und eine Waage, damit das Ergebnis festgehalten und in die Statistik von Ozeankind aufgenommen werden kann. Der gesammelte Müll gehört allerdings nicht in die Tonne; der muss selbst entsorgt werden. Mittlerweile gibt es sechs Tonnen, fünf davon haben ihren festen Platz im Schrevenpark, beim Biosk Tante Suse in der Wik und bei drei Surfschulen. Eine mobile Tonne kann das Stützpunkt-Team zu Events mitnehmen. Die Anbieter:innen bekommen die Station kostenfrei zur Verfügung gestellt, schließen sie während der Öffnungszeiten auf und zu und haben ein Auge auf den Zustand. Wer selbst eine Cleanup-Tonne bei sich aufstellen möchte, kann sich per Mail an kiel@ozeankind.de wenden. Auch Menschen, die Teil des Stützpunktes werden möchten, können dort oder über Instagram @ozean- kind_kiel Kontakt aufnehmen oder zu einem der monatlich stattfindenden Clean-ups kommen. Am letzten Sonntag eines Monats trifft sich das Team zum Müllsammeln. Interessierte sind herzlich eingeladen.
Mehr Infos über den Verein und die Möglichkeiten ihn zu unterstützen, gibt es unter www.ozeankind.de.